Stimmung in Griechenland
"Deutschland ist es egal, dass hier Rentner sterben"
Von Johannes Korge und Ferry Batzoglou, Athen
Georgios Trangas hat sich heiß geredet - wieder einmal. Vergessen sind in diesem Moment seine vier Studiogäste. Trangas fixiert Kamera eins und widmet sich seinem Lieblingsthema: den Deutschen - und wie sie die Griechen kalt lächelnd ins Verderben stürzen. "Deutschland ist es doch egal, dass hier drei Millionen Rentner sterben", wettert der Moderator. Es ist noch eine seiner harmloseren Thesen an diesem Abend. Willkommen beim Athener Fernsehsender Extra 3, der Schaltzentrale für Wutparolen gegen die "deutschen Besatzer".
"Choris Anästhetiko" heißt das Format - und es macht seinem Namen alle Ehre. "Ohne Narkose", ohne falsche Höflichkeit und mit rücksichtsloser Meinungsmache wird hier die Krise seziert. An diesem Abend soll es unter anderem um die Sorgen der Taxifahrer von Athen und die darbende Wasserwirtschaft gehen. Doch die geladenen Experten taugen zu wenig mehr als zum Stichwortgeber für den zeternden Moderator in ihrer Mitte. "Barbarische Maßnahmen" seien das, die die Troika den Griechen aufdränge, ruft Trangas und rudert mit den Armen. Gesteuert werde doch eh alles aus Berlin.
Das Problem: Trangas verbreitet seine Stammtischparolen zur Finanzkrise nicht in der Taverne, sondern live im Abendprogramm. Dazu in einer morgendlichen Radiosendung ("Da bin ich noch schlimmer"), Kolumnen und dem eigenen Magazin. Trangas ist Kult, was er sagt, hat in Griechenland Gewicht. Er ist einer, der die Probleme rasch auf Schlagworte reduziert und noch schneller mit einem Schuldigen bei der Hand ist: Im eigenen Land sucht er dabei nur selten.
Angela Merkel und marschierende Wehrmachtsoldaten
Kommt das Gespräch schließlich auf Angela Merkel - oder drängt Trangas es in diese Richtung - verliert der Mann im orangefarbenen Pullover vollends die Fassung: "Sie spielt die Saubere, dabei haben die deutschen Firmen in Griechenland über Jahre geschmiert und heikle Kredite vergeben. Merkel lügt, wenn sie sagt, dass sie von alldem nichts gewusst habe. Aber jetzt macht sie hier auf Finanzwächterin." So geht es minutenlang weiter, Trangas feuert Statistiken und kaum wiederzugebende Verweise auf das Nazi-Regime in den Raum und auf die Bildschirme. Selbst die Studiogäste blicken inzwischen betreten auf ihre Notizen.
Hinter dem Mittsechziger flimmert ein Monitor. An diesem Abend bleibt das Hintergrundmotiv neutral, doch das ist nicht immer so. Gerne lässt Trangas hier sonst Bilder von Kanzlerin Merkel mit marschierenden Wehrmachtsoldaten verschneiden.
Minuten nach der Sendung gibt Trangas in seinem Büro den netten Fernsehonkel. Dem Gast aus Deutschland lässt er von seinem Leibwächter erst einmal ein Getränk reichen, dann geht es in das schmucklose Büro. "Ich habe eigentlich nichts gegen Deutsche", sagt er. Doch was Merkel und die von ihr geführte Troika derzeit in Griechenland veranstalteten, das verabscheue er.
Dann holt er tief Luft und wiederholt die Vorwürfe aus seinem Live-Auftritt von eben noch einmal nahezu wörtlich. Eine halbe Stunde später hat selbst Trangas für diesen Abend genug gepredigt. Er wünscht noch einen netten Aufenthalt in Athen, lässt sich von einem zweiten Leibwächter in die Jacke helfen und verschwindet mit seinem Geländewagen - deutsches Fabrikat wohlgemerkt - im Dunkel des nächtlichen Gewerbegebiets.
Trangas spricht vielen Griechen aus der Seele
Auch wenn Trangas seine Standpunkte mitunter fast lächerlich überspitzt (und damit Quote macht): Im Kern spricht er wohl vielen seiner Landsleute aus der Seele. So mancher Grieche sieht die EU inzwischen als das "Vierte Deutsche Reich" an. Fast hat man das Gefühl, die Stimmung wird von Tag zu Tag feindseliger.
Dass die vermeintliche Übernahme ihres Landes durch deutsche Führung viele Griechen empört, zeigt eine Aktion aus dieser Woche. In Athen trafen die Spitzenverbände von Ärzten, Rechtsanwälten und Bauingenieuren zusammen und einigten sich auf einen gemeinsamen Boykott von Produkten aus Deutschland. Wie die Aktion konkret ablaufen soll, ist noch nicht klar. Doch ist zu befürchten, dass dies erst der Anfang einer breiteren Anti-Deutschland-Bewegung sein könnte.
Mit der Symbolik des "Dritten Reichs" kennt sich auch Stathis Stavropoulos bestens aus. Er sitzt wenige Kilometer entfernt in einer verwaisten Zeitungsredaktion und raucht Kette. Das Blatt "Eleftherotypia" steht seit Monaten im Dauerstreik, die Büros bleiben dunkel und unbeheizt. Stavropoulos hat sich inzwischen einen Job bei einer anderen Zeitung besorgt - zum Interview hat er trotzdem hierher geladen. Wenige Menschen in Griechenland wissen, wie der 56-Jährige aussieht. Seine Zeichnungen dagegen kennt wohl jedes Kind. Stavropoulos ist der bekannteste Karikaturist im Land - und auch er kennt seit Beginn der Krise nur noch ein Thema: den bösen Deutschen.
Seine Zeichnungen sehen jede Woche weit mehr als 100.000 Leser, sogar die "New York Times" hat kürzlich eine Karikatur abgedruckt, erzählt Stavropoulos stolz. Ob Merkel, Nicolas Sarkozy, EU-Berater Horst Reichenbach oder die Spitzenriege der griechischen Regierung - alle steckt er in Wehrmachtsuniformen und lässt sie das griechische Volk quälen.
Ein Krawallmacher wie Trangas ist er nicht, seine Provokationen sind wohl durchdacht. "Ich will mit meinen Zeichnungen schockieren, völlig klar. Aber nach der ersten Aufregung setzt ein Denkprozess ein. Das hoffe ich zumindest", sagt Stavropoulos und fingert die nächste Zigarette aus einem dunklen Etui.
Natürlich wisse er um die Gefahr, mit der Wehrmachtssymbolik neue Ressentiments im Volk zu schüren. Doch die Debatte sei den Tabubruch wert. Einen Punkt, hier wird der Zeichner das einzige Mal etwas lauter, will er betonen: Seine Kritik richtet sich immer gegen die deutsche Politik und deren griechische Mitläufer - nie gegen das deutsche Volk.
Ob jedoch seinen Lesern diese Abgrenzung auch immer klar ist, da scheint selbst der Zeichner nicht so ganz sicher.
Das Problem: Trangas verbreitet seine Stammtischparolen zur Finanzkrise nicht in der Taverne, sondern live im Abendprogramm. Dazu in einer morgendlichen Radiosendung ("Da bin ich noch schlimmer"), Kolumnen und dem eigenen Magazin. Trangas ist Kult, was er sagt, hat in Griechenland Gewicht. Er ist einer, der die Probleme rasch auf Schlagworte reduziert und noch schneller mit einem Schuldigen bei der Hand ist: Im eigenen Land sucht er dabei nur selten.
Angela Merkel und marschierende Wehrmachtsoldaten
Kommt das Gespräch schließlich auf Angela Merkel - oder drängt Trangas es in diese Richtung - verliert der Mann im orangefarbenen Pullover vollends die Fassung: "Sie spielt die Saubere, dabei haben die deutschen Firmen in Griechenland über Jahre geschmiert und heikle Kredite vergeben. Merkel lügt, wenn sie sagt, dass sie von alldem nichts gewusst habe. Aber jetzt macht sie hier auf Finanzwächterin." So geht es minutenlang weiter, Trangas feuert Statistiken und kaum wiederzugebende Verweise auf das Nazi-Regime in den Raum und auf die Bildschirme. Selbst die Studiogäste blicken inzwischen betreten auf ihre Notizen.
Hinter dem Mittsechziger flimmert ein Monitor. An diesem Abend bleibt das Hintergrundmotiv neutral, doch das ist nicht immer so. Gerne lässt Trangas hier sonst Bilder von Kanzlerin Merkel mit marschierenden Wehrmachtsoldaten verschneiden.
Minuten nach der Sendung gibt Trangas in seinem Büro den netten Fernsehonkel. Dem Gast aus Deutschland lässt er von seinem Leibwächter erst einmal ein Getränk reichen, dann geht es in das schmucklose Büro. "Ich habe eigentlich nichts gegen Deutsche", sagt er. Doch was Merkel und die von ihr geführte Troika derzeit in Griechenland veranstalteten, das verabscheue er.
Dann holt er tief Luft und wiederholt die Vorwürfe aus seinem Live-Auftritt von eben noch einmal nahezu wörtlich. Eine halbe Stunde später hat selbst Trangas für diesen Abend genug gepredigt. Er wünscht noch einen netten Aufenthalt in Athen, lässt sich von einem zweiten Leibwächter in die Jacke helfen und verschwindet mit seinem Geländewagen - deutsches Fabrikat wohlgemerkt - im Dunkel des nächtlichen Gewerbegebiets.
Trangas spricht vielen Griechen aus der Seele
Auch wenn Trangas seine Standpunkte mitunter fast lächerlich überspitzt (und damit Quote macht): Im Kern spricht er wohl vielen seiner Landsleute aus der Seele. So mancher Grieche sieht die EU inzwischen als das "Vierte Deutsche Reich" an. Fast hat man das Gefühl, die Stimmung wird von Tag zu Tag feindseliger.
Dass die vermeintliche Übernahme ihres Landes durch deutsche Führung viele Griechen empört, zeigt eine Aktion aus dieser Woche. In Athen trafen die Spitzenverbände von Ärzten, Rechtsanwälten und Bauingenieuren zusammen und einigten sich auf einen gemeinsamen Boykott von Produkten aus Deutschland. Wie die Aktion konkret ablaufen soll, ist noch nicht klar. Doch ist zu befürchten, dass dies erst der Anfang einer breiteren Anti-Deutschland-Bewegung sein könnte.
Mit der Symbolik des "Dritten Reichs" kennt sich auch Stathis Stavropoulos bestens aus. Er sitzt wenige Kilometer entfernt in einer verwaisten Zeitungsredaktion und raucht Kette. Das Blatt "Eleftherotypia" steht seit Monaten im Dauerstreik, die Büros bleiben dunkel und unbeheizt. Stavropoulos hat sich inzwischen einen Job bei einer anderen Zeitung besorgt - zum Interview hat er trotzdem hierher geladen. Wenige Menschen in Griechenland wissen, wie der 56-Jährige aussieht. Seine Zeichnungen dagegen kennt wohl jedes Kind. Stavropoulos ist der bekannteste Karikaturist im Land - und auch er kennt seit Beginn der Krise nur noch ein Thema: den bösen Deutschen.
Seine Zeichnungen sehen jede Woche weit mehr als 100.000 Leser, sogar die "New York Times" hat kürzlich eine Karikatur abgedruckt, erzählt Stavropoulos stolz. Ob Merkel, Nicolas Sarkozy, EU-Berater Horst Reichenbach oder die Spitzenriege der griechischen Regierung - alle steckt er in Wehrmachtsuniformen und lässt sie das griechische Volk quälen.
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Natürlich wisse er um die Gefahr, mit der Wehrmachtssymbolik neue Ressentiments im Volk zu schüren. Doch die Debatte sei den Tabubruch wert. Einen Punkt, hier wird der Zeichner das einzige Mal etwas lauter, will er betonen: Seine Kritik richtet sich immer gegen die deutsche Politik und deren griechische Mitläufer - nie gegen das deutsche Volk.
Ob jedoch seinen Lesern diese Abgrenzung auch immer klar ist, da scheint selbst der Zeichner nicht so ganz sicher.
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